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Konzerte: Was tun, wenn ich mich in der Menge unwohl fühle?

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Großer Fan von Konzerten und Festivals sein, aber so gar kein Fan großer Menschenmengen: Ja, das gibt es. Vor allem sensible Personen kennen Momente, in denen sie sich in der Masse auf einmal unwohl, ängstlich oder gestresst fühlen - ihnen wird es zu viel. Und dann?
Die Psychologin Gabriele Bringer erklärt im Interview, warum man diese Empfindungen lieber nicht wegdrücken sollte - und gibt Tipps, wie man dann einen kühlen Kopf behält.
Frage: Was steckt dahinter, wenn man in einer Menschenmenge - etwa bei einem Konzert - auf einmal Beklemmungen fühlt?
Gabriele Bringer: Bei Großveranstaltungen und eben auch Festivals haben wir es mit einer riesigen Menge an Reizen zu tun: Geräusche, Farben, Gerüche. Wenn Menschen auf engem Raum sehr nah beieinander stehen, ist das immer Stress -so schön es auch sein kann, so gut man sich manchmal in der Menge fühlt.
Dieser Stress wirkt sich bei Menschen ganz unterschiedlich aus. Manche können ihn besser ausschalten, andere erleben eine Reizüberflutung. Die kann bei einigen in Menschenmengen zu Beklemmungen führen, obwohl es vielleicht gar nicht so eng ist. Auch allein die Vorstellung, dass ganz viele Menschen um mich herum sind, kann eine solche Reaktion auslösen.
Übrigens: Manche Menschen merken erst, dass sie auf Menschenmengen stark reagieren, wenn sie mittendrin sind. Da spielt auch die Tagesform eine Rolle: Wenn wir etwas angeschlagen sind, zu viel gearbeitet haben in der Woche davor, reagieren wir auf Stress generell empfindlicher, als wenn wir uns ausgeglichen fühlen.
Frage: Was kann ich tun, wenn ich merke, dass ich mich in der Menge akut unwohl fühle?
Bringer: Wenn man sich aufgeregt fühlt, schwitzt, schneller atmet oder einen schnelleren Herzschlag hat, sollte man auf diese ersten Anzeichen reagieren. Wenn die Beklemmung zunimmt, kann sie nämlich leicht in eine Panikreaktion umspringen. Dann besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr klar nachdenken können, was nun das Beste für uns wäre.
Das Wichtigste ist also, einen kühlen Kopf zu behalten, sich in dem Moment zu beruhigen, um dann eine Entscheidung zu treffen: Will ich die Menge verlassen? Und wenn ja, auf welchem Weg?
Beruhigungstechniken sind individuell sehr unterschiedlich. Was zum Beispiel gut hilft, ist ein tiefes und bewusstes Atmen. Man kann auch einen Schluck Wasser trinken, wenn man das dabeihat. Was auch helfen kann: Man fokussiert sich auf einen einzigen Menschen - etwa den Freund, mit dem man dort ist, anstatt wahrzunehmen, wie viele um einen herum stehen.
Eine weitere Technik ist das Rationalisieren, also ein Beschreiben der Situation. Man sagt sich selbst «Ich bin jetzt hier bei dem Festival, ich stehe auf dem Platz, ich merke, mir wird das zu eng.» Wir müssen diese Worte gar nicht aussprechen. Es reicht, sie zu denken.
All das sind gute Techniken. Dank ihnen hat man den Kopf frei und kann dann überlegen: Bleibe ich hier, war das nur ein kleiner Anfall? Oder gehe ich lieber raus und gönne mir eine kurze Auszeit? Wenn sich das Rausgehen aus der Menge wie ein inneres Scheitern anfühlt, kann man sich auch vornehmen, wieder zurückzukehren - oder sich eher an den Rand zu stellen.
Frage: Sie haben anfangs gesagt: Bei so einem Event kommen viele Reize zusammen. Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, überreizt zu sein - wie ein vollgesogener Schwamm, der nichts mehr aufnehmen kann?
Bringer: Gut ist, wenn man als Vorbereitung eine Art Prioritätenliste aufgestellt hat: Wen möchte ich unbedingt sehen? Worauf könnte ich zur Not verzichten? Das macht man am besten vorher. Denn wenn man mittendrin ist, ist der Reiz, doch noch irgendwohin zu gehen, wesentlich größer. Gerade wenn der Gedanke «Ich muss alles haben» im Vordergrund steht.
Wenn das Gehirn schon signalisiert «Ich kann nichts mehr aufnehmen», sollten wir die Reize reduzieren. Also: raus aus der Menge, weg von den Geräuschen. In manchen Fällen reicht es schon, etwas länger auf der Toilette zu sitzen, wenn sie nicht gleich neben dem Lautsprecher steht. Manchen hilft dann übrigens auch, Kopfhörer aufzusetzen, also erst mal nichts zu hören, sondern nur die optischen Reize auf einwirken zu lassen. Oder man schließt die Augen und hört nur zu.
Zur Person: Gabriele Bringer ist Diplom-Psychologin in Berlin. Sie arbeitet hauptsächlich in den Bereichen Wirtschafts- und Notfallpsychologie und ist Mitglied im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP).
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(10.06.2025)